8. Dezember 2025
Der Mut der kleinen Schritte
Im Interview spricht Psychologin Katharina Schachtschneider über Rituale, das Feiern kleiner Erfolge und die Macht der Hoffnung
Mut ist mehr als nur ein Wort – in schwierigen Lebenssituationen kann er zu einer entscheidenden Kraft werden. Im Gespräch erklärt Katharina Schachtschneider, Psychologin und Leiterin der Therapeutischen Begleitung, wie Mut aus psychologischer Sicht wirkt und warum er in Krisenzeiten hilft, Stabilität und Zuversicht zu finden.
Katharina Schachtschneider: Was für Außenstehende oft unsichtbar bleibt, ist, dass der Alltag für die betroffenen Familien eine Aneinanderreihung mutiger Entscheidungen ist. Geprägt von Erfahrungen, dass der gesundheitliche Zustand sich auch rasch verändern kann, braucht es Mut, um scheinbar „kleine“ Schritte zu machen. Besonders schwer fallen manchen Eltern die anscheinend „normalen“ Dinge – das kranke Kind auch mal loszulassen, wenn es einen guten Tag hat; Hilfe anzunehmen, ohne sich als Versager zu fühlen; oder dem Geschwisterkind zu erlauben, seine eigenen Bedürfnisse zu äußern.
Was wirklich hilft, ist die Etablierung einer gewissen Tagesstruktur, auch wenn diese immer wieder durch Krankenhausaufenthalte oder Krisen unterbrochen wird. Viele Familien berichten, dass es hilfreich ist, kleine Erfolgserlebnisse bewusst wahrzunehmen und zu feiern – sei es ein Tag ohne Schmerzen, ein gemeinsames Lachen oder einfach ein Moment der Normalität.
Außerdem hilft es, die Kommunikation offen zu halten. Wenn Eltern auch über ihre Ängste und Unsicherheiten sprechen können, nimmt das dem Ganzen etwas von seiner erdrückenden Schwere. Eine hilfreiche Strategie könnte sein, ein Tagebuch zu führen oder besondere Momente mit Fotos zu dokumentieren. Das schafft nicht nur wertvolle Erinnerungen, sondern macht auch sichtbar, welche Wegstrecke sie bereits gemeistert haben und wo sich Mut gelohnt hat.
Katharina Schachtschneider: Die stärkste Ressource ist wohl ein funktionierendes soziales Netz. Familien, die Menschen haben, mit denen sie Gefühle teilen können, ohne bewertet zu werden, entwickeln eine deutlich höhere Resilienz. Auch persönliche Stärken wie Flexibilität im Denken, Humor oder Spiritualität können tragende Säulen sein.
In der Arbeit mit den Familien zeigt sich immer wieder, dass Rituale eine wichtige Brücke sein können. Viele Familien etablieren bewusst „angstfreie Zonen“, etwa gemeinsame Mahlzeiten ohne Krankheitsgespräche oder einen wöchentlichen Filmabend. Achtsamkeitsübungen helfen manchen Eltern, im Moment zu bleiben statt in Zukunftsängsten zu versinken. Auch kreatives Ausdrücken von Gefühlen – durch Malen, Musik oder Bewegung – kann besonders für Kinder ein Ventil sein.
Katharina Schachtschneider: Die Hoffnungen sind so vielfältig wie die Familien selbst. Manche hoffen auf medizinische Durchbrüche, andere wünschen sich einfach noch einen gemeinsamen Urlaub oder dass ihr Kind einen wichtigen Meilenstein erleben kann. Viele Eltern entwickeln auch den Wunsch, aus ihrer Erfahrung etwas Positives entstehen zu lassen – sei es durch Engagement für andere betroffene Familien oder Aufklärungsarbeit. Sich zu erlauben, zu hoffen, halte ich ebenfalls für besonders mutig.
Als Kinderhospiz ist unsere Aufgabe, diese Hoffnungen ernst zu nehmen und zu unterstützen – ohne unrealistische Erwartungen zu nähren. Wir helfen bei der Realisierung von Herzenswünschen, vermitteln Kontakte zu Stiftungen oder organisieren besondere Erlebnisse. Gleichzeitig begleiten wir Familien dabei, ihre Träume an veränderte Realitäten anzupassen, ohne die Hoffnung zu verlieren. Besonders wichtig ist, dass wir Familien helfen, ihre Perspektive zu erweitern. Wenn ein ursprünglicher Plan nicht mehr möglich ist, gibt es vielleicht einen anderen Weg zum selben Gefühl.
Katharina Schachtschneider: Das Umfeld kann ein entscheidender Faktor sein und ist es häufig auch– im Positiven wie im Negativen. Familien berichten oft, dass manche Freunde sich zurückziehen, während andere über sich hinauswachsen. Ein verständnisvolles, informiertes Umfeld kann unglaublich entlasten: Lehrer, die flexibel auf die Bedürfnisse von Geschwisterkindern eingehen; Nachbarn, die ungefragt Einkäufe mitbringen; Freunde, die einfach da sind und zuhören.
Das medizinische und pflegerische Team spielt eine zentrale Rolle. Wenn Ärzt*innen und Pflegekräfte nicht nur fachlich kompetent, sondern auch einfühlsam kommunizieren, gibt das Familien Sicherheit und Vertrauen. Wir arbeiten deshalb eng mit behandelnden Kliniken zusammen und vermitteln bei Kommunikationsschwierigkeiten.
Als besonders wertvoll empfinde ich unsere ehrenamtlichen Familien- und Krisenbegleiter*innen. Ich finde es grundsätzlich mutig, diese Ehrenämter zu wählen, sich Tabuthemen zu widmen und für Menschen in den tiefsten Tälern da zu sein. Dass jemand mir einfühlsam Zeit schenkt, die Bedürfnisse meiner Kinder sieht und „einfach“ da ist, kann tragend sein. Zu wissen, dass man nicht alleine ist, hilft oft, wieder ein wenig Mut zu schöpfen.
Wir danken Katharina Schachtschneider für dieses Gespräch und wünschen allen Familien genau das: Ein wenig Mut zu schöpfen.

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