Sternenkinder: „Ein Raum voller Liebe“

Ein Gespräch mit Fotografin Petra Rühle

Petra Rühle fotografiert seit vielen Jahren ehrenamtlich unsere Familien und gibt so berührende Einblicke in deren Leben. Seit 2018 macht sie auch Bilder von Sternenkindern und deren Familien. Sternenkinder werden Kinder genannt, die kurz vor, während oder nach ihrer Geburt versterben. Im Gespräch erzählt sie uns, warum sie diese Bilder für so wichtig hält und wie ihre Kamera dabei zur „Beschützerin und Bewahrerin“ wird.

Liebe Petra, warum denkst du, sind diese Bilder wichtig für die Eltern – auch wenn das Ereignis an sich sehr schmerzhaft ist?

Petra: In der aktuellen Situation sind die Bilder oft zunächst nicht wichtig. Später aber können die Bilder eine große Bedeutung bekommen. Die Eltern müssen die Klinik allein verlassen – mit nichts als einer Erinnerung, die mit der Zeit verblasst. Auch wenn sie sich die Bilder nicht gleich anschauen (können), so ist es für sie doch wichtig, sie in einer Schublade zu haben. Und zu wissen, dass sie da sind. Bei der Trauerarbeit haben die Bilder oft eine unterstützende Funktion. Für viele sind die Bilder auch ein Beweis, dass dieses Kind wirklich existiert und seinen festen Platz in ihrem Leben hat. Eltern, die keine Bilder machen lassen, bedauern das im Nachhinein oft. Und leider kann dieser Augenblick auch nie mehr zurückgebracht werden.

Wie gehst du persönlich mit der Situation um?

Petra: Ich fotografiere recht häufig Neugeborene und grundsätzlich unterscheidet sich die Situation nicht so sehr – und ist doch anders: Ein neuer, kleiner Mensch wird willkommen geheißen – bei den Sternenkindern muss man zeitgleich auch Abschied nehmen. Mir ist dabei bewusst, dass ich an einer sehr intimen Situation teilnehme. Ich bin aber nur Gast, eine stille Beobachterin. Was mich dabei schützt, ist die „Rolle“, die ich dabei einnehme. Und meine Kamera: Sie wird zu meiner „Beschützerin“, die ich räumlich zwischen mich und das Geschehene bringe. Und für die Familie wird sie zur „Bewahrerin“ ihrer Erinnerungen.

Wie läuft ein solch besonderer Fototermin ab?

Petra: Ich versuche immer, eine gewisse Distanz zu wahren, denn die Familie hat ja gerade einen großen Verlust erlitten. Meine Aufgabe ist es, den kostbaren Moment festzuhalten. Meist atme ich einmal tief durch, bevor ich den Eltern und ihrem Kind gegenübertrete, denn ich weiß ja nie, was mich genau erwartet. Meist herrscht in dem Raum, in dem sich das verstorbene Kind im Kreis seiner Familie befindet, eine Atmosphäre voller Liebe – trotz des großen Schmerzes. Diese Liebe trägt mich durch meine Aufgabe. Das tote Kind wird meist von seinen Eltern und Geschwistern liebevoll in den Arm genommen, geschaukelt und liebkost. Es wird meistens wenig geredet, im Mittelpunkt steht der Augenblick und das Abschiednehmen. Mein Handeln ist dabei rein intuitiv, ich versuche mich möglichst im Hintergrund zu halten und die Familie in ihrer Trauer nicht zu stören.

Wie reagieren Geschwisterkinder in dieser Situation?

Petra: Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie offen und ungezwungen Geschwisterkinder – wenn es welche gibt – mit der Situation umgehen. Für sie ist klar: Das ist mein Bruder bzw. meine Schwester. Wenn Oma und Opa mit dabei sind, sind es oft die Enkel, die ihren Großeltern die Scheu nehmen, das Neugeborene anzufassen und zu streicheln. So seltsam es klingt, aber die Kinder wirken punktuell sogar fröhlich, denn sie haben – trotz allem – gerade ein Geschwisterchen bekommen, auf das sie stolz sind.

Warum fotografierst du Sternenkinder?

Petra: Begonnen hat es damit, dass ich bei Beerdigungen fotografiert habe. Wenn die ganze Familie zusammenkommt, um gemeinsam zu trauern und sich zu erinnern, entstehen oft sehr innige Momente. Diese Augenblicke versuche ich auf meinen Fotos festzuhalten. Mir war es immer wichtig, auch sozial relevante Themen mit in meine Fotografie einzubeziehen. In den Medien wird das Leben meist als perfekt und ohne Probleme dargestellt, mir ist aber auch die „andere Seite“ wichtig. Ich möchte nicht nur das offensichtlich Schöne zeigen, sondern auch die schicksalhaften Wendepunkte, die eben dazu gehören und ihre ganz eigene Schönheit haben. Zu diesem Leben gehört eben auch der Tod, mit all seinen Facetten.

Wohin können sich Eltern von Sternenkindern bei Bedarf wenden?

Petra: Ich bin auf der Plattform www.dein-sternenkind.eu registriert. Die Geburtskliniken kennen in der Regel die Plattform und fragen die Eltern, ob sie eine*n Fotograf*in wünschen. Findet in meiner Nähe eine Sternenkindgeburt statt, erhalte ich via App ein Signal. Wenn ich den Auftrag annehmen möchte, bekomme ich weitere Informationen und fahre direkt in die jeweilige Klinik.

Weitere Informationen sind unter www.dein-sternenkind.eu erhältlich. Für den Service der dort gelisteten Fotograf*innen entstehen den Eltern keine Kosten.

Das Bild zeigt Sternenkind Louis, fotografiert von Petra Rühle.

Wie die Stiftung Sternenkindfamilien unterstützt und wie Sie dabei helfen können, lesen Sie hier.

 

Sternenkind Louis
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