Umarmen und loslassen – Diagnose Trisomie 18

Umarmen und loslassen – Diagnose Trisomie 18

In ihrem Buch „Umarmen und loslassen“ (Ludwig Verlag) erzählen Shabnam und Wolfgang Arzt von dem erfüllten Leben und dem Begleiten in den Tod ihrer schwerkranken Tochter Jaël, die mit Trisomie 18 zur Welt kommt. Die von Ärzten prognostizierte Lebenserwartung beträgt wenige Stunden, Tage, Wochen. Doch Jaël wird 13 Jahre alt und prägt auf ihrem Weg alle, die sie kennenlernen, mit ihrer ansteckenden Lebensfreude, überbordenden Liebe und dankbaren Haltung zum Leben.

Am 21. November 2019 veranstalten wir um 19 Uhr eine Benefizlesung in der Seidlvilla in München, in der das Ehepaar aus dem berührenden Buch liest und von den Jahren mit Jaël erzählt. Wie Shabnam und Wolfgang Arzt von der Diagnose erfuhren, was ihre Tochter so besonders machte und wieso sie das Erlebte in einem Buch festgehalten haben, verraten sie uns vorab im Interview.

 

Wann haben Sie erfahren, dass Ihr Kind nicht gesund ist?

Bei einer Routineuntersuchung im achten Schwangerschaftsmonat stellte die Ärztin zu viel Fruchtwasser fest. Wir wurden zu einer Praxis für Pränataldiagnostik überwiesen. Die Untersuchung verlief ohne sichere Diagnose, die Aussage, unsere Tochter sei nicht lebensfähig stand im Raum. Gewissheit über die Diagnose „Trisomie 18“ brachte die Blutuntersuchung eine Woche nach der Geburt.

Wie war damals die Prognose?

Die Prognose entsprach den Lehrbüchern: Wenige Stunden, Tage, Wochen, maximal Monate. Jaël würde ihren ersten Geburtstag höchstwahrscheinlich nicht erleben.

Wann haben Sie entschieden, das Kind zu bekommen? 

Für uns war zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft klar, dass wir unsere Tochter kennenlernen möchten. Selbst wenn sie nur ein paar Stunden leben würde. Wir hatten bereits früh eine Beziehung zu ihr aufgebaut, sie war unser absolutes Wunschkind.

Welche besonderen Eigenschaften hat Jaël mitgebracht?

Jaël machte es uns und allen, die ihr begegneten einfach, sie ins Herz zu schließen. Sie war eine Meisterin der Lebensfreude und konnte Menschen mit ihren dunklen, funkelnden Augen und ihrer Fröhlichkeit anstecken. Umarmen hatte ihr niemand beigebracht, es wurde zu ihrem Markenzeichen. Nach jeder Mahlzeit gab es eine Umarmung, und immer, wenn man sich zu ihr beugte.

In ihrer Todesanzeige steht, dass sie bis zu ihrem letzten Atemzug ihre Liebe wie Konfetti auf uns geworfen hat. Und genauso war es.

Was hat Sie dazu veranlasst, das Buch zu schreiben? Wann kam Ihnen erstmals der Gedanke?

Wir fühlen uns durch die 13 Jahre mit unserer Tochter reich beschenkt. So paradox es klingen mag: Von einem sterbenskranken Kind lässt sich viel für das Leben lernen. Unsere Lernerfahrungen wollten wir gerne festhalten und mit anderen teilen. Freunde, die mit Jaël aufgewachsen waren, baten uns, ein Buch zu schreiben, damit sie ihren eigenen Kindern das Mädchen vorstellen können, das sie so sehr geprägt hat. Dazu kommt, dass wir früh begonnen hatten, unsere Erfahrungen in einem Blog zu teilen. Wir bekamen positive Rückmeldungen von anderen Betroffenen, die daraus Kraft für ihre eigene Situation schöpften. Alles zusammen machte die Sache für uns rund.

Was erhoffen Sie sich von dem Buch?

In unserer Gesellschaft ist das Thema Sterben, besonders wenn Kinder betroffen sind, ein Tabuthema. Kranke Kinder haben keine Lobby. Wir wünschen uns, dass dieses wichtige Thema und damit auch die betroffenen Familien nicht am Rande bleiben, sondern Aufmerksamkeit erhalten und damit auch Würde erfahren. Mehr als 20.000 Kinder leben in Deutschland mit einer lebensverkürzenden Erkrankung. Die Familien benötigen Unterstützung aus allen Teilen der Gesellschaft. Dazu möchten wir gerne einen Beitrag leisten. Leserinnen und Leser melden uns außerdem zurück, dass das Buch ihnen hilft, für sich neu zu entdecken, worauf es im Leben ankommt. Das macht uns froh.

Was ist Ihr Wunsch an die Pränatalmedizin?

Die Entdeckung, dass das Leben nicht schwarz-weiß ist, sondern bunt und vielfältig. Eine Diagnose hat noch keine Aussagekraft über die Liebenswürdigkeit und den Wert eines Menschen. Wie genau eine Krankheit oder Behinderung sich nach der Geburt auswirkt, kann kein Mediziner vorhersehen. Keiner von den Ärzten hat uns gesagt, wie wundervoll unsere Tochter sein würde.

 

Über das Ehepaar

Shabnam, Dipl.-Pädagogin und Deutsch-Dozentin, 1974 in Persien geboren, immigriert als Jugendliche nach Deutschland, wo sie Wolfgang Arzt, Theologe und Sozialpädagoge, Jahrgang 1971, kennenlernt. 2001 kommt ihr Wunschkind Jaël zur Welt, doch eine tödliche Diagnose zerstört das junge Glück. Ihre Erfahrungen verarbeiten sie in dem Blog Jaëls Welt. Nach 13 intensiven Jahren der Pflege verstirbt Jaël 2014. Shabnam und Wolfgang Arzt engagieren sich heute ehrenamtlich in der Kinderhospizarbeit. Sie leben in Solingen.

Einladung zur Benefizlesung und anschließender Gesprächsrunde

Wir freuen uns auf zahlreiche Zuhörer und bitten um Anmeldung unter lesung@kinderhospiz-muenchen.de.  Im Anschluss an die Lesung findet eine Gesprächsrunde statt. Teilnehmer sind u. a. Christine Bronner, Stifterin und geschäftsführender Vorstand Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München, Ehepaar Shabnam und Wolfgang Arzt, Dr. Karl Eder Geschäftsführer Landeskomitee der Katholiken in Bayern sowie Dr. Mira Hauser, langjähriges Mitglied des SAPPV-Teams, LMU-Klinikum Campus Großhadern. Moderation: Sybille Giel, Bayerischer Rundfunk.

Der Eintritt ist frei, Spenden sind erbeten.

Kontakt

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