„Es kommt mehr zurück als man gibt“

Im Gespräch: Was sind die Beweggründe, sich ehrenamtlich in der Kinderhospizarbeit zu engagieren? 

Helmut Stern, Rentner aus Deggendorf, ist als ehrenamtlicher Familienbegleiter für das Zentrum Niederbayern unterwegs. Im Interview spricht er von seinen Beweggründen, sich in seiner Freizeit um schwerkranke Kinder und deren Familien zu kümmern – und darüber, was er anderen Interessierten rät.

Wie hat sich in Ihnen die Motivation entwickelt, im Bereich Kinderhospizarbeit ein Ehrenamt zu bekleiden?

Helmut Stern: Ich habe schon immer ehrenamtlich gearbeitet, während meines Arbeitslebens vor allem in betrieblichen oder gewerkschaftlichen Ämtern. Darüber hinaus bin ich auch als ehrenamtlicher Arbeits- und Sozialrichter tätig. Nachdem ich in den Vorruhestand eingetreten bin, habe ich die meisten dieser Ämter niedergelegt. Ich wollte weiter ehrenamtlich arbeiten, allerdings nicht mehr institutionell, sondern mit Menschen. Etwas Konkretes hatte ich auch nicht im Sinn, als ich den Flyer der Stiftung AKM entdeckt habe. Zu dieser Zeit wurde in Niederbayern gerade ein Familienbegleiter-Netzwerk aufgebaut. Ich habe mich informiert und mich zum Kurs angemeldet. Es hat mich einfach angesprochen, mit Kindern zu arbeiten. Der Kurs hat sich zu Corona-Zeiten dann auch auf ein Dreivierteljahr ausgedehnt und anschließend habe ich auf meinen ersten Auftrag gewartet.

Was waren Ihre Berührungsängste, Sorgen oder auch Fragen hinsichtlich des Themas Kinderhospizarbeit?

Helmut Stern: Die Hospizarbeit war mir durch das Erwachsenenhospiz Niederalteich bekannt. Die dauerhafte Konfrontation mit dem Tod hat mich aber abgeschreckt, mich in der Erwachsenenhospizarbeit zu engagieren, auch weil ich zu dieser Zeit einen schweren persönlichen Verlust erlitten hatte. Dagegen sind die Kinderhospizarbeit und die Begleitung schwerkranker Kinder eine längerfristige Aufgabe, in der man Kontakte und Beziehungen zu den Familien aufbaut. Einmal in der Woche für ein paar Stunden Familien Zeit zu schenken und diese zu entlasten, konnte ich mir besser vorstellen. Dieser Eindruck hat sich auch bestätigt.

Sie hatten sich in der Folge für die Familienbegleiter*innen-Schulung angemeldet und diese unter Corona-Bedingungen absolviert. Was ist Ihnen hinsichtlich der Schulung besonders in Erinnerung geblieben?

Helmut Stern: Das Kennenlernen der anderen Schulungsteilnehmer war bereits ein schöner Einstieg. Die Gemeinschaft wurde schnell ziemlich eng, alle Teilnehmer waren gewillt, sich ehrenamtlich zu engagieren. Ich habe mich immer wohlgefühlt, auch die verschiedenen Module waren stets interessant. Man konnte immer Fragen stellen, denn Unsicherheit gab es bei jedem. Jedes Problem konnte sofort angesprochen werden, es wurde alles aufgearbeitet und viele Ängste genommen. Man lernt sich in der Familienbegleiter-Schulung aber auch selbst besser kennen, die eigenen Grenzen, die Gedanken zum eigenen Tod. Man kommt schließlich in Familien, die von lebensverkürzenden Krankheiten beherrscht werden. Klar kann es dann auch zum Todesfall kommen. Bisher ist zwar in meinen beiden Familien noch kein Kind verstorben, aber der Großvater in einer Familie. Man geht mit solch schwierigen Themen dann einfach souveräner um.

Sie sind nun bereits seit längerer Zeit im Einsatz, zeitweise in zwei Familien gleichzeitig, und konnten so die Inhalte der Schulung mittlerweile gut mit dem Erlebten abgleichen. Was sind Ihre Erfahrungen? 

Helmut Stern: Was für mich zu Beginn eine große Unsicherheit dargestellt hat, war das Kennenlernen. Wie reagiert die Familie auf mich? Was passiert, wenn es eben nicht passt? Es sind wildfremde Menschen, auf die man trifft und man lernt diese sehr schnell sehr genau kennen. Bis zu einem gewissen Grad sind wir ein „freundlicher Besuch“ bei der Familie, ich bin kein Arzt, kein Pfleger und erhalte kein Geld für meine Tätigkeit. Ich komme als Privatperson und bin dafür da, die Familie zu begleiten. Nimmt die Familie das nicht an, hat das dann auch nichts mit mir zu tun. Bei meinen beiden Familien habe ich das aber noch nicht verspürt. Mit der Zeit gehört man irgendwie dazu, man wird zur Firmung, zur Kommunion oder zum Geburtstag eingeladen. Auch mit der Familie, bei der ich nicht mehr im Einsatz bin, halte ich weiter Kontakt. Es wächst einfach eine Vertrautheit.

Nach einem Einsatz muss man das Geschehene aber auch Revue passieren lassen, auch etwas für sich tun. Wie sorgen Sie besonders nach schwereren Einsätzen anschließend auch für sich selbst?

Helmut Stern: An den Tagen, an denen ich den Familien zwei, drei oder vier Stunden schenke, nehme ich mir ansonsten nichts vor. Die Fahrzeiten sind dabei für mich schon Regenerationszeiten, denn es kostet Kraft, sich voll auf die Familie einzulassen, sich selbst zurückzustellen und zuzuhören. Oft gehe ich mit dem Kind, das ich zurzeit betreue, aber auch nur spazieren. Er kann nicht kommunizieren und sitzt im Rollstuhl und doch konzentriert man sich voll und ganz auf die eigene Aufgabe. Deshalb halte ich mir diese Tage oder zumindest die nächsten Stunden auch immer frei. Aber es kommt auch viel zurück: Die Familie freut sich bereits, wenn man kommt. Nach einer Zeit spürt man auch die Kommunikation des Kindes. Gefällt dem Kind, was man unternimmt? Ich gehe oft mit ihm auf den Spielplatz, wir gehen schaukeln oder Karussell fahren. Behinderte Kinder sind immer direkt, es gibt keinen Filter mehr: Wenn ihnen etwas gefällt, bemerkt man es, und wenn nicht, lassen sie es einen auch sofort spüren. Insgesamt kommt aber für mich viel mehr zurück als man gibt.

Bald findet in Mühldorf am Inn die nächste Familienbegleiter*innen-Schulung der Zentren Niederbayern und Südostoberbayern statt. Würde jemand Sie zu Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Familienbegleiter befragen, wie würden Sie auf Fragen wie „Was muss ich mitbringen? Wie muss ich sein? Würden Sie mir die Tätigkeit empfehlen?“ antworten?

Helmut Stern: Wie muss man sein? So wie man wirklich ist. Man muss sich nicht verstellen, sondern gewillt sein, für diese Familien seine eigene Zeit zu opfern. Wenn man schon mit dem Gedanken spielt, die Schulung zu absolvieren, hat man schon den wichtigsten Schritt gemacht. Wenn man sich vorstellen kann, eine Familie zu begleiten, sollte man sich auch nicht von irgendwelchen Ängsten abhalten lassen. Ich kann nur raten, sich mit jemandem darüber zu unterhalten. Die Schulung ist auch nicht nur eine Schulung. Man trifft sich auch später mit den anderen Familienbegleitern, so haben wir kürzlich auch einen gemeinsamen Ausflug unternommen. Das war einfach ein schöner Tag unter Gleichgesinnten, bei dem man sich auch austauschen kann. Andere Familienbegleiter betreuen auch Geschwisterkinder, die oft zwangsweise etwas auf der Strecke bleiben. Diesen Geschwisterkindern Zeit zu schenken, ist dabei genauso wertvoll wie die Begleitung eines erkrankten Kindes. Da gibt es keine Abstufung. Wenn man mit dem Gedanken spielt, sich zu engagieren: Erkundigen und mit anderen darüber sprechen. Ich kann es jedem nur raten, es auch zu machen.

Wir bedanken uns an dieser Stelle von Herzen bei all unseren ehrenamtlichen Unterstützer*innen und freuen uns über Interesse an unserer Schulung, die im Oktober startet. 

Unsere Pressemitteilung mit den genauen Terminen und den Kontakt für Interessierte finden Sie hier.

In unserem Video kommen neben Helmut Stern zwei weitere Ehrenamtliche zu Wort – sowie Kinderschutz-Expertin Katharina Deeg und Schulungsleiterin Christina Schultz, die weitere Informationen zur anstehenden Schulung und deren Inhalte geben:

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