Stabilisieren, ordnen, stützen

Therapeutische Begleitung der Stiftung AKM: Überbrückung von der traumatischen Krise zur niedergelassenen Therapie

Die Diagnose einer lebensbedrohlichen oder lebensverkürzenden Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen stellt das Leben eines ganzen Familiensystems auf den Kopf. Der Boden unter den Füßen fehlt und die Krise kann sich zum Trauma entwickeln. Während des gesamten Weges, den die betroffenen Familien während und auch nach der Erkrankung gehen, fungieren die Fachkräfte der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM) als Wegbegleiter. Neben der Kinderhospizarbeit findet sich dabei unter den fachlichen Angeboten auch die sogenannte Therapeutische Begleitung, die einzelne Familienmitglieder bei der Verarbeitung ihres Traumas unterstützt und so Folgestörungen vorbeugt. Wir sprachen mit Brigitte Schratzenstaller, die im AKM-Zentrum Niederbayern in der Therapeutischen Begleitung tätig ist.

Wie interpretieren Sie „Therapeutische Begleitung“? Was heißt das für Sie in der Praxis?

Brigitte Schratzenstaller: Wir können keine Therapie ersetzen, aber therapeutische Tools in die betroffenen Familiensysteme bringen, um in einer akuten Situation zu stabilisieren und Verständnis bei den Betroffenen für die eigene physisch-psychische Reaktion zu erlangen. Entsprechend beinhaltet therapeutische Begleitung auch viel Psychoedukation. Viele unserer Familien haben traumatische Erfahrungen, dazu möchte ich ein Bild bemühen: Ein Trauma wirft alles im Kleiderschrank durcheinander, entsprechend ist es dann die Aufgabe, alles Schritt für Schritt wieder zu sortieren, um von der Unordnung nicht bei jeder Betrachtung übermannt zu werden. Dabei können wir die Familien unterstützen. Für langfristige Behandlungen verweisen wir aber stets an niedergelassene Therapeut*innen.

Über welchen Zeitraum kann sich eine therapeutische Begleitung in der Folge also erstrecken?

Brigitte Schratzenstaller: In der Sozialmedizinischen Nachsorge nach dem Modell Bunter Kreis sind fünf Stunden der therapeutischen Begleitung enthalten, in der Kinderhospizarbeit können wir bis zu 25 Stunden ableisten. Somit können wir bei monatlichen Gesprächen auch durchaus viele Monate überbrücken, bis niedergelassene Therapeut*innen in Wohnortnähe der Betroffenen wieder neue Patient*innen aufnehmen können. Es gibt aber auch Situationen, in denen eine Therapie noch nicht ratsam ist, weil die Krisensituation noch zu präsent ist und eine Stabilisierung vonnöten ist. Therapie heißt schließlich, Ereignisse hervorzuholen und sich damit zu beschäftigen.

Ihnen geht es also um einen guten Übergang von der akuten Krisensituation hin zu einer stabileren Lage, in der dann eine Therapie greifen kann?

Brigitte Schratzenstaller: Richtig. Ein Trauma gibt einem selbst das Gefühl, nicht normal zu sein, aber es ist eine völlig normale Reaktion auf ein gänzlich abnormales Ereignis. In dieser Situation können wir die Betroffenen beraten und auch Tools mit an die Hand geben, die die Stabilisierung erleichtern.

Doch führen auch die Fachkräfte der Kinderhospizarbeit Entlastungsgespräche. Was kann demnach die therapeutische Begleitung, was im Setting des Familienbegleitenden Kinderhospizdienstes nicht möglich ist?

Brigitte Schratzenstaller: Als Fachkraft in der Kinderhospizarbeit hat man stets das gesamte Familiensystem im Blick. Natürlich führt man auch kurze Entlastungsgespräche, aber es bleiben auch immer organisatorische Themen mit im Blick. Die therapeutische Begleitung wird dann hinzugezogen, wenn ein Familienmitglied einen besonderen Bedarf zu einem spezifischen manifestierten Thema äußert, den die Kinderhospizarbeit schon rein zeitlich nicht abdecken könnte. Wir schaffen so einen gesonderten Gesprächsraum für die Betroffenen.

Wird dieser Gesprächsraum auch Kindern und Jugendlichen, zum Beispiel den Geschwisterkindern der Erkrankten, angeboten und wie unterscheidet sich in diesem Fall der Rahmen?

Brigitte Schratzenstaller: Wer Bedarf hat, wird auch unterstützt, also natürlich auch Kinder und Jugendliche. Mit Kindern arbeiten wir entsprechend viel auf der spielerischen Ebene und sind im engmaschigen Austausch mit den Eltern. Bei Jugendlichen bedeutet therapeutische Begleitung vor allem Beziehungsarbeit. Für diese Altersgruppe stehen ferner aber auch verschiedenste Chat-Portale und Gruppenangebote zur Verfügung. Die Grundvoraussetzung für die therapeutische Begleitung ist aber immer die eigene Äußerung des Bedarfs. Wir nötigen Kinder und Jugendliche keinesfalls in ein Setting, weil die Eltern diesen Bedarf festgestellt haben wollen. Ohne die Bereitschaft sich zu öffnen, ist schließlich jeder Versuch der therapeutischen Beratung nutzlos. In diesen Fällen bestärken wir dann stets die Eltern, dass Traumata keine Folgestörungen nach sich ziehen müssen, sondern auch Kinder und Jugendliche diese verarbeiten können.

Wie werden Sie als therapeutische Begleiterin bei den Familien empfangen? Sie sind in Ihrer Rolle schließlich neutraler als zum Beispiel die Kinderhospizfachkraft.

Brigitte Schratzenstaller: Wir benennen bei den Familien klare Strukturen: Erstgespräch, Zwischenbilanz bis zum Abschluss. Zudem klären wir vorab mit den Betroffenen ganz klar den individuellen Auftrag, den wir als therapeutische Begleitung bearbeiten. Dadurch scheint der Raum tatsächlich aber noch weiter aufzugehen: Die Betroffenen lassen tief in ihre Nöte blicken. Als Begleitende befinden wir uns dabei auf der Meta-Ebene. Wir kommen zu den Familien und bieten ihnen einen exklusiven Raum, in den sie ihre Belastung, ihr Trauma, ihre Geschichte legen können.

Welche Erwartungshaltung seitens der Betroffenen impliziert das? Öffnet man einen anderen Raum, gehen damit folglich entsprechende Erwartungen und Wünsche einher.

Brigitte Schratzenstaller: Ich nenne ein Beispiel: Kürzlich äußerte eine Mutter, deren Kind reanimiert werden musste, mir gegenüber den Wunsch, ihr zu versprechen, dass eine derartige Situation nicht mehr auftreten wird. Die Erwartung an eine Therapie und damit auch an eine therapeutische Begleitung ist es oft, Ängste einfach wegzuzaubern und Unmögliches aufzulösen. Wir können nicht zaubern oder diese Wünsche erfüllen, allerdings ist es möglich, ein Trauma zu überwinden. Das bedeutet einen langen und arbeitsreichen Weg. Als Therapeutische Begleitung können wir den Betroffenen Methoden an die Hand geben, wie das oft Unaussprechliche besser eingeordnet oder im besten Falle auch abgelegt werden kann. Als Begleiter müssen wir die Situation der Betroffenen mit aushalten, um ihnen eine Stabilisierung und eine Sortierung ihres Traumas zu ermöglichen.

Brigitte Schratzenstaller
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